• In der stammesgeschichtlichen Entwicklung bis zum Menschen wurde es für das Überleben in Tiergruppen immer wichtiger, soziale Beziehungen einzugehen und auszubauen. Dies beginnt bei der Brutpflege und der persönlichen Bindung zwischen Mutter und Kind, die gerade bei Säugetieren den Ausgangspunkt für weitere Beziehungstypen darstellt.
• Im Verlauf der kindlichen Entwicklung treten drei unterschiedliche Formen des Vertrautwerdens und der Vertrautheit mit anderen Menschen auf. Die aus der Vertrautheit entstehende Bindung kann bei kleinen Kindern unterschiedliche Formen annehmen, die als sichere, ambivalente und meidende Bindungsstile bezeichnet werden. Bei Heranwachsenden erwächst aus Vertrautheit Überdruss, der den Anstoß zur Suche und Kontaktaufnahme mit fremden Menschen gibt.
• In der 1. Phase der Erforschung des Anschlussmotivs wurde angenommen, dass Unsicherheit oder Furcht die wesentliche Ursache für Anschlussverhalten ist. Die Einsicht, dass nicht die Reduzierung eines unangenehmen, sondern die Entstehung eines angenehmen Zustands das Motivziel ist, stellte die entscheidende Wende dar. Mit der Unterscheidung zweier unabhängiger Motivziele – anderen näher zu kommen vs. Zurückweisung vermeiden – begann die eigentliche Erforschung des Anschlussmotivs und der entstehenden Motivationslagen.
• Menschen mit einer hohen Ausprägung in der Furcht vor Zurückweisung haben generalisierte geringe Erwartungen an den Erfolg eigenen Tuns und Wirkens im Umgang mit Fremden. Mehrdeutige Verhaltensweisen von Gesprächspartnern werden sehr schnell als Ablehnung interpretiert und Hilflosigkeits- und Resignationserleben machen sich breit. Insgesamt fallen auch die Reaktionen auf Anerkennung durch andere eher schwach und undifferenziert aus. Aufgrund dieser Art der Kommunikation werden sie von ihren Gesprächspartnern als »kompliziert« beschrieben, da diese Un sicherheit in gewissem Umfang ansteckend wirkt. Die Furcht vor Fremdbewertung wie auch die Fremdenfurcht scheinen mit der Furcht vor Zurückweisung wenig Gemeinsamkeiten zu besitzen.
• Hoffnung auf Anschluss und Furcht vor Zurückweisung regulieren die Nähe und Distanz zwischen Menschen. Abhängig von den Ausprägungen der beiden Motive kommt es zu unterschiedlichen Zeitpunkten und in unterschiedlicher Inten sität zu Konflikten zwischen Aufsuchen und Meiden im Umgang mit fremden oder wenig bekannten Personen. Schüchternheit kann als ein chronischer Konflikt zwischen Hoffnung auf Anschluss und Furcht vor Zurückweisung verstanden werden.
• Durch die Entwicklung der ersten Inhaltsschlüssel für den TAT begann die Erforschung des Anschlussmotivs und der Anschlussmotivation. Die Motivdiagnostik mit dem TAT wird als implizit bezeichnet, da selbst zugeschriebene Motive und TAT-Kennwerte sich häufig deutlich unterscheiden. Die projektive implizite Motivdiagnostik ist – trotz all ihrer Schwächen – offenbar geeignet, das eher spontane, bewusst nicht zugängliche Verhalten zu erklären. Mit der Entwicklung der beiden Fragebögen zur Erfassung der Aufsuchen- und Meiden-Komponente des Anschlussmotivs erhielt die Forschung den nächsten Anschub. Es konnten zum 1. Mal die typischen Unterschiede zwischen Personen mit hoher Hoffnung auf Anschluss und solchen mit hoher Furcht vor Zurückweisung bestimmt werden. Allerdings können Fragebögen nur die expliziten – d. h. bewusst zugänglichen – Teile von Motiven erfassen. Deshalb hat dieses Messinstrument nur einen eingeschränkten Anwendungsbereich. Mit dem Anschluss-Gitter konnte ein Verfahren entwickelt werden, das den 3. Weg in der Motivmessung geht. Weil es Eigenschaften von TAT und Fragebogen verbindet, kann es als semi-projektiv bezeichnet werden. Insbesondere für die Erklärung und Vorhersage emotionaler Reaktionsmuster und spontaner Präferenzen in sozialen Situationen hat sich dieses Verfahren bewährt.
• Wenn es darum geht, das emotionale Klima und das Verhalten in engen Beziehungen zu verstehen, dann tritt das Intimitätsmotiv in Kraft. Es ist leider noch nicht so gut erforscht wie das Anschlussmotiv, und die Messung ist auch etwas komplizierter. Neben der Bewertung und Beachtung naher Beziehungen schlägt sich im Intimitätsmotiv die – wahrscheinlich schon in der frühen Ontogenese entstandene – Fähigkeit nieder, anderen zu vertrauen und sich in einer Beziehung gleichermaßen fallen und tragen zu lassen.
• Die Frage nach der Beziehung zwischen Anschluss- und Intimitätsmotiv, deren Entstehung wahrscheinlich auf unterschiedliche stammesgeschichtliche Wurzeln zurückzuführen ist (Eibl-Eibsfeldt, 1997; s. oben), bleibt offen. In vielen der von McAdams durchgeführten Studien konnten durch die Messung des Intimitätsmotivs, nicht aber durch das ebenfalls erhobene Anschlussmotiv, die beobachteten Unterschiede – wie die Erinnerungsleistungen – erklärt werden. Die Korrelationen der beiden Motive liegen für TAT-Kennwerte in den wenigen Studien dazu zwischen .25 und .55. Was trotz der mittelhohen Korrelationen für unabhängige Motivsysteme von Intimität und Anschluss spricht ist die Tatsache, dass die Anregungsbedingungen, die den intimitätsthematischen Gehalt in den TAT-Geschichten deutlich erhöhen, kaum einen Einfluss auf die anschlussthematischen Inhalte haben. Im Verhalten im Psychodrama (McAdams & Powers, 1981) gab es eine Reihe von Gemeinsamkeiten zwischen Personen mit hohem Intimitätsmotiv und solchen mit hohem Anschlussmotiv: die körperliche Nähe zum Mitspieler, die Anzahl der Lachausbrüche, der geringe Ich-Bezug, der ausgewogene Dialog, der positive Affekt. Dieses Verhaltensmuster kann als Aktivität zur Herstellung und Steuerung der sozialen Beziehung verstanden werden, und es ist in beiden Motiven verankert. Beim Intimitätsmotiv kam jedoch ein weiterer Aspekt hinzu, nämlich das Thema des Sich-selbst-Auslieferns an den Prozess der sozialen Beziehung. Hoch Intimitätsmotivierte überließen sich der sozialen Situation, sie ließen sich von ihr tragen, weil sie anderen Menschen ein großes Vertrauen entgegenbringen können. Wie die ersten experimentellen Forschungen zeigten, entsteht das Bedürfnis, mit anderen zusammen zu sein, auch dann, wenn Angst angeregt ist (Gefahr in Verzug, Prüfungen, Bewertungen, neue unsichere Situationen). Neben dieser reaktiven Tendenz, sich aus Angst und Unsicherheit mit anderen Menschen zusammenzuschließen, die das Ziel hat, diese unangenehmen Emotionen zu bewältigen, gibt es zwei eigenständige aufsuchende Motive, die den Umgang mit anderen Menschen bestimmen – das Anschlussmotiv und das Intimitätsmotiv. Während ersteres im Umgang mit Fremden und wenig bekannten Personen angeregt wird, spielt das zweite erst im Umgang mit eng vertrauten Personen eine Rolle. Die Ziele dieser Motive stellen nicht die Reduktion von Furcht dar, sondern es sind positive Zielzustände, die im Zusammensein mit anderen Menschen selbst liegen und die eng mit Ausschüttungen der Neurotransmitter Dopamin und Oxytocin verbunden sind. Inzwischen häufen sich Belege dafür, dass es Geschlechtsunterschiede hinsichtlich der »natürlichen« Ausprägungen von Anschluss- und Intimitätsmotiv gibt. McAdams (1980) konnte bereits ein stärkeres Intimitätsmotiv bei Frauen nachweisen. Geschlechtsspezifische Präferenzen und Verhaltensweisen lassen sich in allen Entwicklungsphasen finden: bei Babys im Betrachten von Gesichtern und der Häufigkeit des Lächelns; bei Kindergartenkindern in Spielzeugpräferenzen und Spielstilen; bei Kindern und Jugendlichen in Vorlieben für enge Freundschaften oder lose themenbezogene Gruppen (Bischof-Köhler, 2006; Maccoby & Jacklin, 2000); bei Erwachsenen in der Bereitschaft zum spontanen Sex mit fremden Personen des anderen Geschlechts (Buss, 2004). Zusammenfassend scheint bei Frauen das Intimitätsmotiv – also das Bestreben enge vertraute Beziehungen aufzubauen – höher ausgeprägt zu sein; bei Männern dagegen scheint das Anschlussmotiv – also das Bestreben nach freundlichem Umgang mit fremden oder unbekannten Personen – stärker zu sein (Baumeister, 2007). Die evolutionsbiologische Sichtweise einer Geschlechterspezialisierung legt dies zumindest sehr nahe. Hier ergeben sich neue spannende Forschungsfragen für die Zukunft.