David G. Myers

Inhalt

  • 1.1 Was ist Psychologie?
    • 1.1.1 Die Wurzeln der Psychologie
    • 1.1.2 Entwicklung der wissenschaftlichen Psychologie
  • 1.2 Moderne Psychologie
    • 1.2.1 Große Themen der Psychologie
    • 1.2.2 Drei zentrale Analyseebenen der Psychologie
    • 1.2.3 Arbeitsfelder der Psychologie  
  • 1.3 Mit Psychologie lernen – Verbessern Sie Ihre Merkfähigkeit und Ihre Noten!
  • 1.4 Kapitelrückblick
    • 1.4.1 Verständnisfragen
    • 1.4.2 Schlüsselbegriffe
    • 1.4.3 Weiterführende deutsche Literatur

 

 

Definition "Psychologie"

Psychologie ist die Wissenschaft vom Verhalten (alles, was ein Organismus macht) und von den mentalen Prozessen (dem Erleben, den subjektiven Erfahrungen, die wir aus dem Verhalten erschließen). Das Schlüsselwort in dieser Definition ist Wissenschaft.

 

Die Wurzeln der Psychologie

Die Wurzeln der Psychologie reichen weit zurück in die Geschichte. Sie können zurückverfolgt werden nach Indien, China, in den Mittleren Osten und nach Europa, wo einige gelehrte Menschen ihr Leben lang danach strebten, ihre Mitmenschen zu verstehen. Ein besonderes Anliegen war für sie die Frage, wie unser Geist arbeitet und wie seine Funktionen mit den Funktionen unseres Körpers zusammenhängen. Vor mehr als 2000 Jahren dachten Buddha und Konfuzius über die Macht des Geistes und die Entstehung von Ideen nach. Die Hebräer im Vorderen Orient, Sokrates, sein Schüler Platon und dessen Schüler Aristoteles in Griechenland gingen der Frage nach, ob Leib und Seele eigenständige Einheiten darstellen oder ob sie miteinander verbunden sind. Sie fragten sich, ob menschliches Wissen angeboren oder durch Erfahrung erworben ist. Im 18. Jahrhundert nahmen Descartes und Locke einige dieser alten Fragen wieder auf, und Locke schuf den berühmt gewordenen Begriff vom Geist als einem »unbeschriebenen Blatt«. Die Vorstellungen von Francis Bacon und von John Locke trugen wesentlich zur Entwicklung des modernen Empirismus bei, zur Auffassung also, dass Wissen auf Sinneserfahrung zurückgeht und dass die Wissenschaft auf Beobachtungen und Experimenten beruhen sollte.

Die Geburtsstunde der Psychologie, wie wir sie heute kennen, schlug Ende des 19. Jahrhunderts in einem deutschen Laboratorium, in dem Wilhelm Wundt das erste echte psychologische Experiment im ersten psychologischen Labor durchführte. Schon bald bildeten sich Schulen: Titchener und andere Strukturalisten suchten nach den grundlegenden Elementen der Seele, indem sie Menschen beibrachten, nach innen zu schauen und die kleinsten Einheiten ihres Erlebens zu beschreiben. In dem Versuch, zu verstehen, wie seelische Prozesse und Verhaltensprozesse dazu beitragen, dass wir uns anpassen, überleben und gedeihen, versuchten William James und anderen Funktionalisten, zu erklären, warum wir tun, was wir tun.

Bis in die 20er Jahren des letzten Jahrhunderts hinein war die Psychologie eine »Wissenschaft vom Seelenleben«, die mit Hilfe der Introspektion erforscht wurde. Die amerikanischen Behavioristen, angeführt von John B. Watson und später von B.F. Skinner, änderten den Fokus und beschränkten sich auf die Untersuchung beobachtbaren Verhaltens. In den 60er Jahren richteten die humanistischen Psychologen ihre Aufmerksamkeit auf die Bedeutung von Umwelteinflüssen, des persönlichen Wachstums und des Bedürfnisses, geliebt und angenommen zu werden. Erst in den 60er Jahren begann die kognitive Wende erneut den Fokus der Psychologie auf das Interesse an mentalen Prozessen zu legen; besondere Aufmerksamkeit widmete man der Wahrnehmung, der Informationsverarbeitung und dem Gedächtnis. Die kognitiven Neurowissenschaftler erweitern unser Verständnis dieser und weiterer Prozesse in der heutigen Psychologie, die sich selbst als »Wissenschaft vom Verhalten und von den mentalen Prozessen« sieht.

 

Moderne Psychologie

Die Psychologie breitet sich aus und wird global. In 69 Ländern auf der Erde arbeiten, lehren und forschen Psychologen in vielen Bereichen.

Die Anlage Umwelt-Debatte: Bei der wichtigsten der immer wieder diskutierten Fragen der Psychologie geht es um das Gleichgewicht zwischen dem Einfluss von Anlage (der Gene) und Umwelt (alle anderen Einflüsse, denen wir von der Zeugung bis zum Tod ausgesetzt sind). Philosophen haben lange darüber diskutiert, ob die Anlage (wie es Plato und Descartes meinten) oder die Umwelt (wie es Aristoteles und Locke meinten) wichtiger ist. Darwin schlug einen Mechanismus vor - das Prinzip der natürlichen Selektion -, nach dem die Natur zufällige Variationen selegiert, die die Lebewesen in die Lage versetzen, in bestimmten Umwelten zu überleben und sich fortzupflanzen. Psychologen sind heute der Auffassung, dass in den meisten Fällen jedes psychische Ereignis gleichzeitig ein biologisch-körperliches Ereignis ist. Eine ganze Reihe von Forschungsergebnissen (dazu gehören auch Studien über eineiige und zweieiige Zwillinge) lässt die relative Bedeutung der drei Gruppen von Einflüssen auf solche Merkmale wie Persönlichkeit und Intelligenz in einem neuen Licht sehen.

Im biopsychosozialen Ansatz werden Informationen aus dem biologischen, dem psychologischen und dem soziokulturellen Analyseniveau miteinander vereint. Psychologen untersuchen das Verhalten und Erleben des Menschen von unterschiedlichen Blickwinkeln aus (u.a. Neurowissenschaft, Evolutionstheorie, Verhaltensgenetik, Psychodynamik, Lerntheorie, Kognitionstheorie, soziokulturelle Theorie). Wenn man die Informationen, die in diesen vielen Forschungssträngen gesammelt werden, zusammenführt, so ergibt sich ein umfassenderes Verständnis des Verhaltens und der mentalen Prozesse, als dies möglich wäre, wenn man sich auf eine einzelne Sichtweise beschränkte.

Die Arbeitsfelder der Psychologie: Zu den Arbeitsfeldern der Psychologie gehören Grundlagenforschung (meist ausgeübt von Psychophysiologen, Entwicklungs- und Kognitions-, Differentiellen und Sozialpsychologen), angewandte Forschung (u.a. praktiziert von Arbeits-, Betriebs- und Organisationspsychologen) sowie die vielen verschiedenen Anwendungsfelder, u.a. in der klinischen Psychologie (die Arbeit von Psychotherapeuten und klinischen Psychologen). Klinische Psychologen untersuchen, testen und behandeln Menschen mit psychischen Störungen (mit Hilfe der Psychotherapie); Psychiater untersuchen, testen und behandeln ebenfalls Menschen mit Störungen, aber sie sind Mediziner, die sowohl Medikamente verschreiben als auch Psychotherapie anbieten können.