• In der 2. Hälfte des 2. Lebensjahres tritt also die Entwicklung der Wirksamkeitsmotivation (oder auch Mastery) in eine neue Phase ein (s. auch Barrett & Morgan, 1995). Das intendierte Endziel einer Handlung wird zum Gradmesser des Handlungserfolgs, dem die einzelnen Handlungsschritte untergeordnet sind. Hier werden also selbst- oder fremdgesetzte Gütemaßstäbe als Kriterien gelungenen oder misslungenen Handelns wirksam. Ab etwa 17 bis 18 Monaten zeigen Kinder beim Handeln mit Objekten und besonders in Situationen, in denen sie sich beobachtet fühlen (Kagan, 1981), ein zunehmendes Interesse daran, bestimmte Standards zu erreichen. So legen sie nun größeren Wert darauf, eine vorgeführte Handlungssequenz akkurat nachzuspielen, einen Turm mit allen vorhandenen Klötzen zu bauen oder ein Puzzle vollständig zusammenzufügen. Diese Gütestandards sind oft von Eltern oder älteren Kindern initiiert (7 Abschn. 16.5), werden aber von den Kindern übernommen und dienen schließlich als Maßstab der eigenen Kompetenz.
• Handlungsbezogene Emotionen in der frühen Kindheit durchlaufen einen Entwicklungswandel, bei dem der Fokus der Emotionen von der Verhaltens-Effekt-Kontingenz im frühen Säuglingsalter auf die Erreichung eines intendierten Ergebnisses (Gütemaßstab) ab etwa 1 1/2 Jahren und schließlich zur Bewertung des eigenen Selbst anhand der Erreichung eines mehr oder weniger schwierig zu erreichenden Gütemaßstabes ab etwa 2 (Spiel mit Mutter) bis 3 (Wettbewerb) Jahren wandert. Selbstbezogene Stolzemotionen treten erstmalig etwa im gleichen Alter auf, in dem Kinder die Fähigkeit erwerben, über das eigene Selbst als Wissensgegenstand nachzudenken (Bullock & Lütkenhaus, 1991; Geppert & Küster, 1983; s. auch »categorical self concept« bei Lewis & Brooks-Gunn, 1979). Im gleichen Alter wehrten sich Kinder mit entwickeltem Selbstkonzept erstmals gegen Hilfeangebote von Erwachsenen, möglicherweise um sich selbst die uneingeschränkte Erfolgszuschreibung zu sichern (Geppert & Küster, 1983).
• Auf dem Gebiet der Entwicklung von Bewältigungsstrategien bei Misserfolg und anderen negativen Ereignissen gibt es einen großen Forschungsbedarf, insbesondere was die Wurzeln interindividueller und interkultureller Unterschiede betrifft. Ob man etwa den selbstwerterhöhenden Effekt sozialer Abwärtsvergleiche vorzieht oder die Erklärung unangenehmer Ereignisse am liebsten auf äußere Umstände schiebt, ist möglicherweise stark von Kultur und Elternvorbild beeinflusst. Solche Präferenzen können weitreichende Folgen für das Handeln haben und damit für die längerfristigen Verhaltenskonsequenzen von Misserfolg. So können externe Ursachenzuschreibungen zwar den Selbstwert schützen, führen aber vielleicht langfristig in die Hilflosigkeit, während soziale Abwärtsvergleiche die Tür zum Handeln offen lassen, aber auf lange Sicht inspirierende Vorbilder für das Wirksamkeitsstreben aus dem Auge verlieren.
• Die frühe Eltern-Kind-Interaktion ist die Wiege des Handelns. Die wichtigsten und universellen Bausteine individueller Handlungsregulation werden hier gelegt: Wirksamkeitserleben, Zielsetzung und Persistenz, Autonomie und Widerstand gegen die Vereinnahmung durch fremde Ziele, Schwierigkeitsüberwindung, Freude am intendierten Handlungsergebnis, Rückbezug des erfolgreich errungenen Handlungsergebnisses auf die eigene Kompetenz, und schließlich Verteidigung der eigenen »Lorbeeren« gegen die »Bedrohung« durch fremde Hilfe. Gleichzeitig macht diese wichtige Rolle der frühen Eltern-Kind-Interaktion für die Handlungsentwicklung natürlich auch verwundbar. Bei schlecht auf den Entwicklungsstand des Kindes abgestimmten oder anderweitig ungünstigen elterlichen Einflüssen kann die Entwicklung von Motivation und Handlungsregulation auch fehlgesteuert werden und über die Entwicklungszeit hinweg zu maladaptiven Motivationssyndromen führen.
• Kinder im Vorschulalter können zuerst verschiedene Grade der Aufgabenschwierigkeit einschätzen, bevor sie mit dem Eintritt in die soziale Vergleichswelt der Schule lernen, die eigene Tüchtigkeit anhand sozialer Bezugsnormen zu beurteilen. Mit dem Übergang in die Sekundarstufe wird dann der Maßstab der individuellen Bezugsnorm zunächst gleich wichtig wie die soziale Bezugsnorm und in den letzten 2 Schuljahren sogar deutlich wichtiger, bis der Übertritt in die Erwachsenenwelt den sozialen Vergleich wieder in den Vordergrund rückt.
• Im Übergang vom Vorschulalter zum 2. bis 3. Schuljahr wird ein allgemeines, optimistisches und misserfolgsresistentes Tüchtigkeitskonzept in Anstrengungs- und Fähigkeitskonzept ausdifferenziert. Dabei scheint der Anstrengungsbegriff zunächst erfahrungsnäher und damit begreifbarer zu sein als der Fähigkeitsbegriff. Mit dem Übergang in die Schule wird dann jedoch der Fähigkeitsbegriff konsolidiert und dem Realitätsdruck von Erfolg und Misserfolg nicht nur im intraindividuellen, sondern auch im sozialen Leistungsvergleich ausgesetzt. Fähigkeit und Anstrengung werden erstmals in Vorstellungen von Kapazität und ihren Grenzen ins Verhältnis gesetzt. Diese Entwicklungserrungenschaften bereiten den Weg für komplexere kausale Schemata zur Erklärung von Erfolg und Misserfolg, sowie für realistische und eigenständige Einschätzungen des eigenen Leistungsvermögens. Sie machen aber auch verwundbar für Erfahrungen von Kontrollverlust und Verzagen über die Beschränkungen der eigenen Leistungsfähigkeit (s.Abschn. 16.7 zur Genese individueller Unterschiede).
• In der Entwicklung der Erfolgserwartung kommt es darauf an zu lernen, Handlungsergebnisrückmeldungen so zu verarbeiten, dass grob realistische Einschätzungen mit optimistischem Trend generiert werden. Das ist schon deshalb adaptiv, weil in den meisten Fällen die exakte Erfolgswahrscheinlichkeit nicht genau eingeschätzt werden kann, aber zumindest im schulischen Kontext sicher nicht weit außerhalb der Kompetenzreichweite liegt, und daher Anstrengungsinvestition eher sinnvoll ist. Hinsichtlich der Realitätsorientierung von Erfolgserwartungen belegt die Forschung einen kontinuierlichen Entwicklungsfortschritt bis etwa in die Präadoleszenz. Wenn es um die realistische Einschätzung von nichtleistungskontingenten Zufallsereignissen geht, wie etwa bei der Zufallswahl einer Spielkarte, kommt es auch in der Frühadoleszenz noch zum Entwicklungsfortschritt. Interessant ist, dass es hinsichtlich schulischer Leistungen, also für einen zentralen Leistungsbereich im Leben von Kindern und Jugendlichen, große individuelle und kulturelle Unterschiede in der Realitätsorientierung von Erfolgserwartungen gibt. Möglicherweise ist dies kennzeichnend für einen besonders stark von Erwachsenen für die kulturelle Instruktion gestalteten Entwicklungsraum, in dem Leistungsanforderungen von erwachsenen Sozialisationsagenten gestellt und nicht von den Heranwachsenden gewählt werden, so dass eine starke Realitätsorientierung nicht erforderlich ist und ein engagiertes Zielstreben eher behindern könnte.
• Die Entwicklung der kausalen Schemata verläuft wie folgt:
o Eine einfache Kovariation zwischen Effekt und einer Ursache ist schon ab 4 bis 5 Jahren zu beobachten, wobei die Anstrengungskovariation früher auftritt als die Fähigkeitskovariation.
o Eine kombinierte Kovariation bei der Ergebnisvorhersage wurde ab 5 bis 6 Jahren beobachtet, wenn die Ausprägung beider Ursachefaktoren gegeben ist oder wenn zwei Fälle ungleicher Anstrengung miteinander zu vergleichen sind.
o Je nach Methodik und Stichprobe kann die Anstrengungskompensation schon bei 5- oder erst bei 10-Jährigen auftreten.
o Fähigkeitskompensation stellt offenbar höhere Ansprüche und tritt erst bei 6- bis 11-Jährigen auf, und zwar umso später, je eher eine vorgefasste Fähigkeitsattribution revidiert werden muss oder wenn ungleiche Anstrengung in deutlich erkennbarer Weise nicht mit dem Handlungsergebnis korreliert.
o Kompensationsschemata zu Anstrengung und Fähigkeit entwickeln sich im Falle von Erfolgserlebnissen früher als im Falle von Misserfolgserlebnissen.
• Ab etwa 10 Jahren wird die Fähigkeitsattribution für die affektive Selbstbewertung ausschlaggebend, und zwar zunächst nur nach Erfolg, noch nicht nach Misserfolg. In diesem Alter, in dem der globale Tüchtigkeitsbegriff differenziert worden ist, beginnen die Kinder auch kompensatorische Relationen zwischen Anstrengung und Fähigkeit zu verstehen. Je mehr für Erfolg Fähigkeit und für Misserfolg Unfähigkeit verantwortlich gemacht werden, desto mehr ist man mit sich selbst zufrieden bzw. unzufrieden. Hier zeichnen sich erste Entwicklungsrisiken ab, wenn einseitig auf mangelnde eigene Fähigkeit attribuiert wird. Weitere mögliche Gefahren für die Entwicklung von Kompetenzen können von der Ursachenzuschreibung für eigene Leistungen durch andere, wie etwa Lehrer, ausgehen. Exzessives Lob für moderate Leistungen können die Fähigkeitsselbstzuschreibungen in Frage stellen, und umgekehrt kann Tadel für Misserfolg als Indikator dafür gelten, dass der Lehrer (die Mutter, der Freund) auf der Grundlage der eingeschätzten hohen Fähigkeit mehr erwartet hat.
• In der amerikanischen Motivationsentwicklungsforschung haben in den letzten 20 Jahren Konzepte zu generalisierten Zielorientierungen, also explizite Motive, einen dominierenden Einfluss gewonnen. Dabei geht es um Unterscheidungen entlang zweier Dimensionen: Lernen/Meisterung vs. Performanz/ Selbstdarstellung einerseits und Annäherung vs. Vermeidung andererseits. Lern- oder auch Meisterungsziele richten sich auf eine Verbesserung der eigenen Leistungs- kompetenz, während Performanz- oder Selbstdarstellungsziele darauf abzielen, sich vor anderen und im sozialen Vergleich als kompetent zu erweisen. Lern- und Meisterungsziele haben einen günstigen Einfluss auf das Leistungsverhalten, wenngleich nicht unbedingt auch auf die erzielte Leistung. Performanz- und Selbstdarstellungsziele haben im Fall geringer selbsteingeschätzter Kompetenz einen hilflosigkeitsinduzierenden Einfluss auf das Leistungsverhalten. Eine Kombination von Lern- und Performanzzielen kann unter günstigen Umständen besonders motivierend sein. Ziele können auch danach unterschieden werden, ob sie auf die Annäherung zu einem erwünschten Handlungsergebnis oder dessen Folgen oder die Vermeidung eines unerwünschten Handlungsergebnisses oder dessen Folgen abzielen. Besonders hinsichtlich der Performanz- oder Selbstdarstellungsziele entscheidet die Annäherungs- vs. Vermeidungsorientierung darüber, ob das Ziel Leistungsbemühungen eher fördert oder behindert. Ziele, die darauf abzielen, dass man das Bloßstellen eigener Inkompetenz vermeidet, führen eher zu Anstrengungsvermeidung und Hilflosigkeitsreaktionen besonders nach Misserfolg und wenn man dem Urteil anderer ausgesetzt ist. Demgegenüber kann das Streben nach Selbstdarstellung der eigenen Kompetenz bei einer günstigen Einschätzung der eigenen Leistungsfähigkeit vermehrte Anstrengung und die Wahl ambitionierter aber erreichbarer Anspruchsniveaus begünstigen.
• Die Erforschung individueller Unterschiede hinsichtlich der Kompetenz zur Regulation der eigenen Motivation und des eigenen Handelns liegt auf dem Grenzgebiet zwischen Motivations-, Persönlichkeits- und Entwicklungspsychologie, und lässt sich in drei Forschungsstränge gliedern: 1. Selbstregulation durch Handlungssteuerung, wie das PSI-Modell von Kuhl und das AAI-Modell von Brandtstädter. 2. Wirksamkeitsorientierte Regulation von Entwicklung, wie in der Motivationstheorie der Lebenslaufentwicklung (s. auch »Lebenslauftheorie der Kontrolle«) von Heckhausen, Schulz und Wrosch. 3. Metamotivationale Kompetenz, zu der Rheinberg ein Forschungsparadigma entwickelt hat. Über die Entwicklung dieser individuellen Unterschiede in der Motivations- und Handlungsregulation wissen wir noch so gut wie nichts, so dass die zukünftige Forschung ein weites und offenes Feld vor sich hat.
• Es fehlen noch viele Teile des hoch komplexen Puzzles der frühen Entstehungsbedingungen impliziter und expliziter Motive. Die frühen Entstehungsbedingungen in der Familie sind v. a. durch drei Dimensionen elterlichen Verhaltens und dessen Passung mit der kindlichen sich entwickelnden Kompetenz geprägt:
o Kontingenz der elterlichen auf das kindliche Verhalten,
o Wärme und positives affektives Klima in der Eltern-Kind-Interaktion und
o Entwicklungsangemessenheit im (von den Eltern) angezielten Übergang von der Fremd- zur Selbstregulation.
Auch im weiteren Verlauf der Kindheit spielen die spezifischen leistungsthematischen Charakteristika des familiären Entwicklungskontextes eine ausschlaggebende Rolle. Besonders günstig sind Entwicklungsökologien, die ein hohes Anregungs- und Selbsterprobungspotenzial mit Autonomie förderndem und Leistungsdruck vermeidendem Elternverhalten verknüpfen. In einer solchen familiären Umwelt kann sich das implizite Leistungsmotiv am besten entfalten, da das Kind ermuntert wird, sich selbst dem eigenen Vermögen entsprechende Aufgaben zu stellen, sie zu meistern und so eine solide und auf viele Leistungsbereiche bezogene Erfolgszuversicht zu entwickeln. Besonders wenig wissen wir bisher darüber, welches Elternverhalten die Entwicklung von flexibler Handlungsregulation beim Umschalten zwischen Zielengagement und Zieldistanzierung und von sekundären Kontrollstrategien des Umgangs mit Misserfolg begünstigen oder erschweren.
• Der Übergang in die Schule konfrontiert Kinder und indirekt auch deren Eltern mit einem Leistungskontext, der stark von Fremdregulation und Fremdbewertung, sozialen Vergleichen und extrinsischen Anreizen dominiert wird. Anforderungen und Bewertungen von Leistung sind im schulischen Kontext stark normiert und lassen so das implizite, selbstgesteuerte und auf intraindividuelle Verbesserung ausgerichtete Leistungsmotiv nur schwer Fuß fassen. Demgegenüber gewinnen explizite Leistungsziele, soziale Vergleiche und Konkurrenz mit Gleichaltrigen, sowie extrinsische und langfristige Karrierefolgen mit dem Schuleintritt fast schlagartig an Bedeutung. Dies kann unter bestimmten Bedingungen gehäufter Misserfolgserfahrungen und Autonomie hindernden und Leistungsdruck erzeugenden Elternverhaltens in kurzer Zeit zu chronischer Misserfolgsängstlichkeit führen. Gleichzeitig erfüllen die expliziten Leistungsziele jedoch auch wichtige Regulationsfunktionen, so dass sich für die meisten Kinder im weiteren Verlauf eine Motivationsoptimierung durch sowohl implizite als auch explizite Leistungsmotive ergibt. Dabei erfüllen explizite Leistungsziele auch die Funktion, Äquivalenzklassen leistungsrelevanter Situationen auf die individuellen Leistungspotenziale, Werte, Identitätsmerkmale und Interessen abzustimmen.
• Normative Entwicklungsfortschritte in der kognitiven Differenzierung können die Entwicklung interindividueller Unterschiede beschleunigen oder zu ihrer Reversibilität beitragen und damit Entwicklungsplastizität und Interventionen ermöglichen. Die Differenzierung der Konzepte von Fähigkeit und Anstrengung und die Herausbildung bereichsspezifischer Anreize und Erwartungen machen Kinder resilienter gegenüber all zu generellen Selbsturteilen über die eigenen Charakteristika und die eigene Kompetenz, auch wenn sie das Konzept einer stabilen und möglicherweise geringen Fähigkeit überhaupt erst ermöglichen. Die normative Entwicklung von komplexeren Kausalattribuierungsmustern kann bei Kindern die hilflosigkeitsfördernden Schlussfolgerungen aus Misserfolgserlebnissen unausweichlich erscheinen lassen und so der Misserfolgsängstlichkeit erst richtig aussetzen. So kann der Entwicklungsfortschritt in den kognitiv verfügbaren Kausalattributionsschemata im Sinne kognitiver Kanalisierung zu einer kognitiven Untermauerung und stärkeren Ausprägung individueller Unterschiede führen, die die betroffenen Kinder in die Resignation treibt. Schließlich kann bei der Gestaltung der Wahrnehmung der eigenen Kompetenz durch andere auch Anstrengungsvermeidung eingesetzt werden, bei der so getan wird, als sei die erreichte Leistung trotz geringer Anstrengung zustande gekommen, also der ausgeprägten Fähigkeit geschuldet. Eine solche Strategie dürfte sowohl motivational als auch im Hinblick auf die Einschränkungen im Kompetenzerwerb fatale Entwicklungsfolgen nach sich ziehen.
• Eine weitere einflussreiche Entwicklungsdimension, die interindividuelle Unterschiede erst richtig zum Tragen bringt, ist die fortschreitende Entwicklung von der Fremd- zur Selbstregulation. Dies geschieht zunächst im Kleinkindalter in der Eltern- Kind-Dyade, erfasst im weiteren Verlauf zunehmend umfassendere Entwicklungsökologien und stellt schließlich die Auswahl von Entwicklungsgelegenheiten und -kontexten (natürlich im Rahmen des biologisch und gesellschaftlich möglichen) selbst in die Verantwortung des Individuums. Diese zunehmende Selbstregulation treibt interindividuell divergierende Entwicklungspfade mit Macht auseinander und lässt Unterschiede in Motivdispositionen, Werten und Zielen in zunehmendem Alter stabiler und irreversibler werden.
• Der menschliche Lebenslauf bietet dem entwicklungsregulativen Handeln des Einzelnen ein alterszeitlich strukturiertes Handlungsfeld. Individuen können sich in ihrem zielbezogenen Handeln und Streben nach Kontrolle entlang bestimmter in den Gelegenheitsstrukturen des Lebenslaufs enthaltener Pfade orientieren. Allgemein verändert sich das Kontrollpotenzial über den Lebenslauf in einer während der Kindheit steil ansteigenden, im mittleren Alter ein Hochplateau erreichenden und im Alter abfallenden Kurve. Diese umgekehrte U-Funktion des Kontrollpotenzials ergibt sich nicht zuletzt aus den biologischen Prozessen der Reifung und des Alterns. Darüber hinaus verleihen gesellschaftliche Strukturierungen durch external wirkende Institutionen, die soziale Struktur und altersnormative Vorstellungen dem Lebenslauf eine alterszeitliche Ordnung wichtiger Lebenslaufübergänge. Kanalisierungseffekte auf einmal eingeschlagenen Lebenswegen werden durch gesellschaftlich vorgezeichnete und gesonderte Pfade bewirkt und schränken die Flexibilität individueller Entwicklungsmöglichkeiten zwar ein, geben dem Individuum aber auch eine Stütze bei der Verfolgung langfristiger Ziele. Normative Vorstellungen über die psychologische Entwicklung im Lebenslauf entwickeln sich schon früh und werden im Verlauf von Jugend- und Erwachsenenalter zunehmend differenzierter. Sie bieten einen Bezugsrahmen zur Bewertung der eigenen Entwicklung und der Entwicklung anderer und können auch selbstwertprotektive Funktion erfüllen, wenn im mittleren und fortgeschrittenen Erwachsenenalter Entwicklungsverluste und Problembelastungen bewältigt werden müssen.
• Entwicklungsziele organisieren das entwicklungsregulative Handeln des Individuums. Eine Reihe verwandter Konstrukte aus der Motivations-, Persönlichkeits- und Sozialpsychologie haben sich mit mittel- oder langfristigen persönlichen Zielen und Anliegen beschäftigt und gezeigt, dass sie dem Alltagshandeln des Einzelnen Richtung, Kohärenz und Sinn verleihen. Persönliche Ziele können, abhängig davon, ob ihr Erreichen von Einzelnen kontrolliert werden kann und so Aussicht auf Erfolg hat oder nicht, positive oder negative Wirkungen auf das emotionale Wohlbefinden haben. Darüber hinaus ist der Einsatz für persönliche Ziele, die im Konflikt zu den impliziten Motivpräferenzen des Einzelnen stehen, eher abträglich, weil er die Erreichung motivkongruenter Ziele behindert. Eine Reihe von Studien zeigte, dass Entwicklungsziele die altersnormativen Erwartungen über die Relevanz, Dringlichkeit und Kontrollierbarkeit von Entwicklungsveränderungen widerspiegeln. Altersnormativen Vorstellungen kommt also eine wichtige Bedeutung bei der Auswahl von Entwicklungszielen zu. Sie fungieren als Richtlinien und Zeitpläne für die Steuerung individueller Bestrebungen, die eigene Entwicklung günstig zu beeinflussen.
• Entwicklungsregulatives Handeln muss sich, um erfolgreich und effizient zu sein, die alterssequenzierte Gelegenheitsstruktur des Lebenslaufs zunutze machen. Die Gelegenheitsstruktur für Entwicklungsgewinne und -verluste folgt einer umgekehrten U-Funktion und entsprechend richten sich die Entwicklungsziele Erwachsener mit zunehmendem Alter weniger auf Entwicklungsgewinne als vielmehr auf die Vermeidung von Entwicklungsverlusten. Für spezifische Entwicklungsziele, wie z. B. den Karriereeintritt oder den Kinderwunsch, entspricht der altersgradierte Gelegenheitsverlauf einem aufsteigenden Ast, gefolgt von einer Hochphase, auf die eine Abbauphase folgt. Solche Gelegenheitsverläufe sind in altersnormativen Vorstellungen repräsentiert und können so von Jugendlichen und Erwachsenen antizipiert und bei ihren entwicklungsregulativen Bemühungen berücksichtigt werden. Besonders virulent ist die Entwicklungsregulation bei Annäherung an und nach dem Überschreiten einer Entwicklungsfrist. Hier muss der Einzelne von einer dringlichkeitsdiktierten Phase starken Zielengagements auf eine Zieldistanzierung und Selbstwertverteidigung umschalten, wenn die Frist überschritten ist. Bei der Auswahl von Zielen zum Engagement bzw. zur Deaktivierung kann der Einzelne sich drei Optimierungsheuristiken zunutze machen: die altersgradierte Zielauswahl, die Berücksichtigung kurz- und langfristiger Folgen, und die Aufrechterhaltung von Diversität.
• Die quer- und längsschnittlichen Studien zur Entwicklungsregulation vor und nach Verstreichen einer Entwicklungsfrist belegen zwei wesentliche Aspekte des Handlungsphasen-Modells der Entwicklungsregulation: 1. Den Wechsel von Zielengagement zu Zieldistanzierung vor und nach Überschreiten der Entwicklungsfrist, und 2. die Phase dringlichen Zielengagements unmittelbar vor Ablauf der Entwicklungsfrist.
In den querschnittlichen Studien zum Kinderwunsch und zur Partnerschaft zeigte sich, dass die befragten Erwachsenen vor Überschreiten der Entwicklungsfrist stark zielengagiert waren und die entsprechenden Kontrollstrategien verwendeten. Im Gegensatz dazu gingen die meisten Befragten nach Überschreiten der Entwicklungsfrist dazu über, sich von dem bisherigen Ziel zu distanzieren und kompensatorische sekundäre Kontrollstrategien der Selbstprotektion zu verwenden. Evidenz für die Kongruenz von Zielengagement und Zieldistanzierung sowie Zielrealisierungsgelegenheiten zeigte sich nicht nur bei den expliziten Maßen (genannte Ziele, Kontrollstrategien), sondern auch bei impliziten Indikatoren zielselektiver Informationsverarbeitung. Je größer die Kongruenz von Zielengagement und -distanzierung und Zielrealisierungsgelegenheiten war, desto besser war das subjektive Wohlbefinden und die seelische Gesundheit (geringere Depressionsneigung). Die Längsschnittstudie zum Übergang von der Schule in die berufliche Ausbildung belegte die eindrucksvolle entwicklungsregulative Kompetenz der beteiligten Jugendlichen bei der adaptiven Anpassung von beruflichen Zielsetzungen in diesem prekären Entwicklungsübergang ins Erwachsenenalter. Die Kombination von selektiven primären und selektiven sekundären Kontrollstrategien erwies sich als besonders geeignet diesen schwierigen Übergang erfolgreich zu meistern. Die Studie verwies außerdem auf die besondere Rolle der Dringlichkeitsphase im Handlungszyklus und zeigte, dass während der Dringlichkeitsphase ein orchestrierter Einsatz primärer und sekundärer Kontrollstrategien besonders effektiv ist. Das Handlungsphasen-Modell der Entwicklungsregulation wurde auch herangezogen, um das Kontrollstreben von Patienten mit akuten und chronischen Erkrankungen zu untersuchen. In den bisher durchgeführten Studien zeigte sich übereinstimmend mit den entwicklungszielbezogenen Studien , dass dann, wenn gesundheitsbezogenes Zielengagement und Zieldistanzierung im Einklang mit dem verfügbaren Kontrollpotenzial stehen, positive Entwicklungsergebnisse erzielt werden, während Inkongruenz zwischen Zielstreben, Zieldistanzierung und Kontrollpotenzial negative Folgen für das Wohlbefinden hat.
• Die Erforschung interindividueller Unterschiede in der entwicklungsregulativen Kapazität steckt noch in den Kinderschuhen und bietet ein neues und vielversprechendes Forschungsfeld. Wichtige Dimensionen betreffen das Wissen um den altersgradierten Wandel von Zielrealisierungsgelegenheiten im Lebenslauf und die entsprechende Passung von Zielsetzungen an die jeweilige Entwicklungsökologie, die Stärke und Resilienz des primären Kontrollstrebens, die Bereitschaft und Fähigkeit zur Zieldistanzierung bei geringer Kontrollierbarkeit des angestrebten Ziels, die Verfügbarkeit kompensatorischer sekundärer Kontrollstrategien zum Schutz motivationaler Ressourcen, die Bereitschaft und Fähigkeit zum Reengagement mit neuen und erreichbaren Zielen, wenn bisherige Ziele unerreichbar oder zu aufwändig werden und schließlich die Orchestrierung primärer und sekundärer Kontrollstrategien beim Übergang zwischen verschiedenen Handlungsphasen.
• Die motivierte Einflussnahme der Einzelnen auf ihre eigene Entwicklung weist weit über die bloße Interaktion von Situation und Person hinaus. Das Individuum muss sich in den durch biologische und gesellschaftliche Einflüsse diktierten Gelegenheitsstrukturen orientieren, mit Engagement Wege einschlagen, die Handlungsoptionen eröffnen und andere außer Reichweite rücken. Dabei gestaltet der Einzelne nicht nur die eigene Zukunft, sondern nimmt aktiven Einfluss auf die eigene Entwicklungsökologie und damit auf den Handlungshorizont für das eigene zukünftige Leben. Wiewohl die biologischen (z. B. genetische Ausstattung, biologischer Reife- oder Alterungsstatus) und gesellschaftlichen Gegebenheiten (z. B. allgemeine Bedingungen der sozialen Mobilität in einer Gesellschaft, soziale Herkunft des Individuums) die Entwicklungspotenziale des Individuums vorprägen und einschränken, so bleibt dem Einzelnen nicht nur die Freiheit, das Beste daraus zu machen, sondern er kann darüber hinaus versuchen, diese Bedingungen der eigenen Entwicklung durch Selektion, Evokation, und Manipulation selbst mitzugestalten. In vielen Fällen geschieht dies nicht bewusst und auch nicht immer zum Vorteil dessen, der nolens volens durch eigene Wahlen (z. B. eines Berufs oder eines Lebenspartners) und Handlungen die eigene soziale Umwelt entscheidend mitgestaltet. Gleichwohl ist der handelnde Einfluss des Individuums auf die Regulation der eigenen Entwicklung ein mächtiges Wirksamkeitsinstrument, das weit über den unmittelbaren Effekt auf die Nahumwelt die eigene Zukunft und ihr Entwicklungspotenzial entscheidend mitgestaltet.